Streifzüge, Heft 2/2003
Juni
2003

Wie moderne Prediger

Arbeitslosenkurse mögen im Einzelfall hilfreich sein, ja sogar zu einem Job verhelfen. Für die meisten sind sie jedoch so überflüssig wie ein Kropf. Durch Kurse werden ja keine Jobs geschaffen, höchstens die Konkurrenz verschärft.

Es war einmal eine Zeit, da herrschten ziemlich verrückte Verhältnisse. Die einen hackelten sich 40 bis 80 Stunden die Woche krumm und bucklig, magen- und nervenkrank und wenn’s sein muss zu Tode. Die anderen – ihre Zahl nimmt immer mehr epidemische Ausmaße an – sind dazu verdammt, fast ohne Existenzgrundlage namens Geld ihr Dasein zu fristen. Ihnen schlagen immer heftigere Wellen von Feindseligkeit entgegen. Sie müssen ausgemerzt werden aus der Statistik – die Statistik ist ein Heiligtum. Bis 80 muss gerobotet werden, fordert der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor Erich Streissler; dazu bemüht er den Papst: „Durch Arbeit wird der Mensch mehr Mensch“. Streissler folgert daraus, dass „frühzeitige bezahlte Nichtarbeit den Menschen entmenscht. Zumindest macht sie ihn zum müßiggängerischen Luxusgeschöpf“ (Die Presse, 3. 5. 2003). Die Massen von 40-, ja 35-Jährigen, die jetzt schon keinen Job mehr bekommen, sind schnurz-egal, sie werden ja bald zu niedlichen „Minijobs“ abkommandiert, für einen Bettel. Dass der Mega-Event „Arbeit“ den last exit auf der Autobahn des suizidalen Arbeitsethos verpasst hat, das kriegt im universalen Destruktionsrausch keiner mit. Für die immer größer werdende Zahl derer, die daran nicht teilnehmen dürfen, gibt es vorsichtshalber Heerscharen von trouble shootern und Arbeitslosenwärtern, die Arbeitslose auf Trab und am Schmäh halten, falls sie auf dumme Gedanken kommen sollten. So gibt es frische Ware zu verklopfen – Arbeitslosigkeit. Zu Dumpingpreisen werden Kurse an die Niedrigstbieter vergeben.

Wie verhext

Wie verhext klingt es aus den Mündern dieser neuen Berufsschicht, den Job-Coaches. Die Arbeitslosen nennen sie systemlogischerweise „Kunden“. „Den Glauben in die Fähigkeit, einen passenden Job zu finden“, wollen sie wecken, mit den Arbeitslosen „Ängste ansehen und damit entschärfen, negative Erwartungshaltungen und Glaubenssätze durchbrechen“ und „das Thema Erfolg bearbeiten, indem an frühere Erfolge im Berufsleben angeknüpft wird“. Sie warnen: Wenn ihre Kunden nicht mit einer „positiven Grundeinstellung in den Kurs gehen“, sondern „passiv oder im Widerstand ihre Zeit absitzen“, dann werden sie weniger leicht einen Job finden als die Enthusiasmierten (Stefan Peters, Volksstimme 24. 4. 2003). Die Arbeitslosenwärter machen nicht nur ihren Job vorbildlich, sie erzählen dir auch privat permanent diese Ammenmärchen, – als ob sie auch dafür bezahlt würden. Unzählige, die früher die perversen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert haben, kritteln heute, wo die Verhältnisse völlig übergeschnappt sind, statt dessen an den Arbeitslosen herum. Nein, ich will nicht ungerecht sein: Einmal habe ich sogar im Radio eine ratlose junge Trainerin gehört, die in aller Öffentlichkeit sagte, sie wisse nicht, wie sie Jugendlichen ausländischer Herkunft erklären soll, dass sie keine Chance auf eine Lehrstelle hätten. Aber das Gros der Coaches ist unbeirrbar, wahrlich wie moderne Prediger lullen sie dich ein. Wie eine Gebetsmühle perpetuieren sie die Beschwörungsformel „Wenn du nur wirklich, wirklich willst, wenn du einfach besser bist als alle anderen, dann ist dir dein Seelenheil, dein Traumjob sicher. Halleluja! “

„… sonst geht’s nur bergab“.

Ein paar Highlights aus der dreijährigen arbeitslosen, kursreichen Karriere der ehemaligen „Weg und Ziel“-Koordinatorin, meiner Wenigkeit, geben Einblick in die Materie. Von keinem Vorgesetzten, von keiner Lehrperson, auch von keinem AMS-Betreuer Ende der 80er Jahren wurde sie jemals so feindselig behandelt: Als Schuldige, als Renitente, die zur Räson gebracht werden muss, die gegängelt werden darf. Ihre jetzigen AMS-BetreuerInnen und KursleiterInnen brachten diese Premiere bravourös über die Bühne, sie könnte sich keine überzeugteren Akteure vorstellen. Beim ersten Termin am AMS, vor drei Jahren, wurde nichts mit ihr geredet, nur eine Drohung ausgesprochen: „Sie haben noch keinen neuen Job, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: eine Umschulung Richtung Computer (damals wurden alle AkademikerInnen – ob dazu geeignet oder nicht – in Web-Design-Kurse gesteckt) oder Richtung Wirtschaft, sonst geht’s nur bergab! “ Einmal wurde sie gemeinsam mit hundert anderen AkademikerInnen zum Wirtschaftsförderungsinstitut vorgeladen, zu einem Eignungstest für einen dreimonatigen Wirtschaftsintensivkurs. Unter den Hinzitierten waren viele, die ein abgeschlossenes Universitäts-Wirtschaftsstudium hatten!

500 Arbeitslose und ein (Fernseh)Prediger

Gleich zu Beginn der Arbeitslosigkeit wurde sie schriftlich zu einem „Bewerbungs-Impulstag“ ins Messe-Kongresszentrum im Wiener Prater vorgeladen. Im Brief stand zuoberst in riesigen Lettern „Vorschreibung eines Kontrolltermins gem. § 49 ALVG“ und unten die Rechtsmittelbelehrung: Bei Versäumnis des Kontrolltermins, also bei nicht Erscheinen zum Bewerbungs-Impulstag, kann es zur Streichung des Arbeitslosengeldes bis zu 62 Tagen kommen. Fünfhundert Arbeitslose – vom Hilfsarbeiter bis zur Akademikerin – sitzen zwei Coaches gegenüber. Sie wurden einen ganzen Tag lang belehrt, dass es keine Verlierer gibt, nur welche, die aufgeben. Dass es um nichts weniger als um deinen Traumjob geht, um den Traum deines Lebens. Arbeit soll ja Spaß machen. Jeder kann seinen Traumjob bekommen, man „braucht nur von der Schattenseite in die Lichtseite treten“. Und „lächle mehr als andere“, das hat schon Götz von Berlichingen gesagt. Dass du nirgends als Bittsteller aufzutreten brauchst, du hast ja etwas zu bieten, du verkaufst ja deine Stärken und Fähigkeiten. Dann brauchst du nur noch deine einzelnen konkreten Planungsschritte festlegen und verwirklichen. So ist der Traumjob sicher – schließlich gibt es ja eine Million offene Stellen pro Jahr. Der Trainer, ein großer, dicker, sanfter Selfmademan, vom Automechaniker übern evangelischen Theologen zum Unternehmensberater mit Managementausbildung aufgestiegen, hat seine Anleihen zweifelsohne bei amerikanischen Fernsehpredigern genommen. Eine Einlage bot der Auftritt eines Bundesheer-Vertreters. Er umwarb Frauen, aber nur jene bis 34, die hätten beim Heer keine üblen Berufsaussichten. Unter den unzähligen Infotischen – von mehreren Leiharbeits-Firmen bis zum esoterischen Management-Büchersortiment – dominierte bei weitem jener des Bundesheeres. Bücher, die uns wärmstens empfohlen wurden: Von Joseph Murphy, dem Urgroßvater des positiven Denkens, „Werde reich und glücklich. Entdecke Deine unendlichen Kräfte“. Von Chris Lohner, ehemalige Fernsehsprecherin und Österreichische-Bundesbahn-Bahnhofs-Stimme, „Keiner liebt mich so wie ich. Oder die Kunst in Harmonie zu leben“ und „Keine Lust auf Frust, keine Zeit für Neid“. Von Ute Ehrhardt „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“. Und noch eines über spirituelle Intelligenz.

„Mach was draus!“

Gary Lux, abgehalfterter Schlagersänger, hat einen Song für diesen Tag komponiert. Ganglien verklebend schallte es in den Pausen über die Lautsprecher: „Geboren in diese Welt von Leidenschaft und Geld, scheint manches Ziel oft unerreichbar fern. Du fragst dich nach dem Sinn von Ehrgeiz und Gewinn und zweifelst an dir selbst nur allzu gern. Doch irgendwo in jedem von uns lebt ein kleiner Traum, der unaufhörlich nach Erfüllung brennt, und irgendwo in jedem von uns gibt es diese Kraft, die unsichtbar das Schicksal für uns lenkt. Mach was draus, geh hinaus, steh einfach zu dir selbst, übe dich in Zuversicht, bis du den Weg erkennst. Es kann so einfach und so wunderbar sein auf dieser Welt, drum mach was draus und denk nicht ans Geld. Das Leben ist ein Spiel mit unbekanntem Ziel, die Würfel hältst du selbst in Deiner Hand. Oft kommt ein schlechter Zug, man denkt, es ist genug, doch nur wer durchhält, wird am Schluss erkannt.“ Einer der fünfhundert Mitzumotivierenden ist ein guter Bekannter aus engagierten linken Kreisen. Während andere von Gehirnwäsche munkelten, war sein einziger Kommentar: „Nach meiner Mediator-Ausbildung mache ich auch Arbeitslosen-Kurse.“

Jeder Arbeitslose hat ein Defizit

Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit avancierte sie dann zu einen halbjährigen Kurs (viermal die Woche) von „Come back urban“. Eine konnte wenig Deutsch, eine war schwer krank und hatte nie einen qualifizierten Job, eine Arbeiterin war über 50, ein junger Mann hatte viele Vorstrafen, einer war hoch lohngepfändet, einer war Sonderschulabgänger und sie: Geisteswissenschaftlerin, für alles überqualifiziert, wie ihr stets versichert wird. Wahrscheinlich ist das ihr Defizit. „Defizit“ scheint ein magisches Wort zu sein. Alle Arbeitslosen haben eines gemeinsam: das Defizit. Welches, das muss eruiert und behoben werden. Im Brustton der Überzeugung konterte der Trainer ihren bis dahin 150 Bewerbungen: Er könne sich nicht vorstellen, warum sie arbeitslos sei, bei ihnen bekomme sie sicher einen Job. Sie hätten auch Stellen, die sonst nirgends ausgeschrieben seien. Nach zwei Wochen Psychospielchen, wovon keiner wusste, wozu die eigentlich gut sein sollten, durfte sie bereits mit der Jobsuche beginnen, während die anderen in die Orientierungsphase eintraten. Sie erhielt kein einziges Stellenangebot, das nicht aus der Zeitung stammte. Sich da zu bewerben, machte sie zuvor genauso. Außer dass sie sich jetzt auch bei völlig unpassenden, also völlig aussichtslosen Stellen bewerben musste. In sieben Wochen schickte sie 70 Bewerbungen ab. Dann waren sie schmähstad, die TrainerInnen. Sie durfte auch ein Praktikum machen und ein paar Computerkurse besuchen. An manchen Tagen war sie von 8 bis 22 Uhr unterwegs. Das Klima im Kurs war vergleichbar mit jenem in einem von schlechten Pädagogen geführten Schwererziehbarenheim. Permanent diese subtile Unterbutterung: du bist schuld, du hast etwas angestellt; du brauchst nur wirklich wollen, dann findest du schon einen Job. Nach zehn Wochen hat sich der Kurs von selbst aufgelöst. Manche sind entlassen worden, mit einer sechswöchigen Sperrfrist des Arbeitslosengeldes, für andere wurde der Kurs als nicht geeignet erachtet, eine war bei einer Leihfirma des WAFF (Wiener Arbeitnehmerförderungsfond) untergekommen. Sie selbst hat kurzfristig für zwei Monate ein Angebot an der Uni Klagenfurt als Gastprofessorin bekommen, weil die vorgesehene nach Berlin berufen wurde. Danach war sie wieder arbeitslos.

Eine Bekannte von ihr ist Ärztin im AKH. Nach der Schilderung ihres Arbeitslosenkurses meinte sie erstaunt: „Und ich habe mich immer gefragt, warum Arbeitslose ständig irgendwelche Bestätigungen fürs Arbeitsamt brauchen. Jetzt ist mir klar, warum sich viele lieber ins Krankenhaus legen um sich völlig unnötigen Operationen zu unterziehen, als sich den Schikanen eines Arbeitslosenkurses auszusetzen.“

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