Streifzüge, Heft 41
Oktober
2007
Dead Men Working

Zwangsarbeit ante portas

Wer früher ohne Job war, war ein Versicherungsfall und wurde am Arbeitsamt wie ein Versicherungskunde behandelt – im Großen und Ganzen höflich, zuvorkommend, jedenfalls ohne Repressalien. Heute aber – wo sich das Arbeitsamt Arbeitsmarktservice (AMS) nennt und die Arbeitslosen großspurig als „Kunden“ tituliert werden, begegnet man ihnen als Schuldigen, die Räson gebracht werden müssen. Die Pädagogisierungsmaschinerie wurde hochgefahren. Das Arbeitsmarktservice gebärdet sich in der Tat wie eine Institution Schwarzer Pädagogik denn wie eine Service-Einrichtung. Die Zwangsbehandlungen laufen auf Hochtouren. Die Ausgaben der „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ haben sich von ca. 120.000 Euro im Jahr 1999 auf jährlich ca. 900.000 Euro seit 2005 erhöht.

Die menschenverachtende, zynische Bartensteinsche Lügenpropaganda über die kontinuierlich stark sinkenden Arbeitslosenzahlen, die monatlich via ORF hinausposaunt wird, geht gelegentlich sogar einer Landesorganisation der ansonsten sehr schweigsamen Arbeiterkammer zu weit. Die AK Oberösterreich ließ das Wirtschaftsforschungsinstitut diese offensichtlich völlig irrealen Zahlen prüfen. Dieses kam sogleich auf ein Drittel mehr. Allerdings rechnete man auch dort jene nicht mit, die Arbeit suchen, aber nicht arbeitslos gemeldet sind, da sie keinen Anspruch haben, weil der Partner zu viel verdient oder sie selbst noch nie arbeitslosenversichert waren. Das sind noch einmal 120.000. Insgesamt also 440.000 anstatt der offiziellen 204.840. Nicht berücksichtigt ist in dieser Zahl außerdem noch, dass sehr viele Beschäftigte als Notlösung nur Teilzeitjobs haben, von denen sie nicht leben können. Weiters werden Präsenz- und Zivildiener sowie Karenzierte als Beschäftigte gezählt. (Vgl. http://oesterreich.orf.at/stories 232990/ vom 2.11.2007)

Per 1. Jänner 2008 werden mit dem in Kürze zu novellierenden Arbeitslosenversicherungsgesetz auch in Österreich Verhältnisse etabliert werden, die den deutschen Maßnahmen Hartz IV ähneln. Außerdem gibt es bereits ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, das Arbeitslose, die um Berufsunfähigkeits- bzw. Invalidenpension angesucht haben, in den sechs Monaten bis zur Genehmigung oder Ablehnung nicht aus den Fängen des AMS entlässt, sondern diese müssen währenddessen weiterhin dem Arbeitsmarkt, sprich dem AMS, zur Verfügung stehen. Ein Novum in der Politik des VwGHs, der bis dato in seinen Urteilssprüchen dem AMS, vor allem was die zahllosen Sperren der Unterstützung und die Zuteilung zu Maßnahmen betrifft, schlicht Gesetzesbruch bescheinigt hat.

Früher bestand die jährliche Maßnahme in einem sechswöchigen Einzelcoaching, das einmal wöchentlich für 90 Minuten zu besuchen war. Das reicht laut Gesetz, damit aus Langzeitarbeitslosen wieder frische Kurzzeitarbeitslose werden. Mit diesem Winkelzug gibt es zur Zeit nur 5.800 Langzeitarbeitslose, aber 45.000 Langzeitbeschäftigungslose – letztere sind für die Vorgaben der EU-Politik jedoch irrelevant. Eine weitere Finte: Unter 50-Jährige werden nach 12 Monaten als langzeitarbeitslos bezeichnet, über 50-Jährige, weil es davon viel zu viele gibt, schon nach 6 Monaten – wohl um diese öfter zwangsbehandeln zu können.

Heuer aber begnügte man sich nicht mehr mit Schmalspur-Maßnahmen. Es gibt ja genug Geld, um es den Kursinstituten in den Rachen zu stopfen, und so liegt das Zeitminimum bei der Maßnahme nun bei fünf Wochen mit werktäglich fünf Stunden, das Maximum bei zwölf Wochen ganztags. Während vielen beim AMS gesagt wird, Fachkurse, Sprachkurse etc. gebe es zur Zeit überhaupt nicht, bekommen andere solche sehr wohl. Das heißt, trotz der Direktiven von oben sind die Arbeitslosen nach wie vor weitgehend der Willkür der einzelnen Betreuer ausgeliefert. So kommt es umgekehrt auch vor, dass Langzeitarbeitslose gar nicht in die übliche jährliche oder halbjährliche Maßnahme geschickt werden.

In eine Maßnahme gesteckt zu werden, ist auch für die geübtesten Reflektierten und Distanzierten jedes Mal von Neuem ein Erlebnis, das einem nach anfänglicher Belustigung in eine depressive Verstimmung versetzt. Außer Diebstahl an Lebenszeit haben Maßnahmen auch gewisse Pikanterien zu bieten. Demonstration am eigenen Beispiel: Letztes Jahr wurde ich bei der „Gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung Job-TransFair“ mangels passender Jobangebote nicht aufgenommen. Dieses Jahr aber hat die Geschäftsführerstellvertreterin für mich aufs richtige Pferd gesetzt. Beim Recruiting des „Personalservice itworks“, einer der größten Institutionen, durch die möglichst viele Arbeitslose geschleust werden, wurde ich wie von einem Headhunter umworben. Von den mir so schmackhaft gemachten zahlreichen Jobangeboten, von denen sonst niemand wisse, habe ich aber während des Kurses kein einziges zu Gesicht bekommen. Fünf Wochen lang pilgerte ich von Meidling in die Brigittenau, um dort im offenen Strafvollzug des AMS meine täglichen fünf Stunden abzusitzen. Und zwar akkurat in jenes Gebäude, in dem ich anno dazumal – lang, lang ist’s her – in den Redaktionen der Volksstimme, der Stimme der Frau und von Weg und Ziel meine Artikel ablieferte. Im altehrwürdigen Haus der KPÖ, im Schütte-Lihotzky-Trakt – benannt nach der über 100 Jahre alte gewordenen Architektin des Hauses residieren nämlich nun unter anderem „itworks“ und die „ÖSB Consulting GmbH“. Erstere eine Tochterfirma letzterer. Die „ÖSB Consulting GmbH“ wurde übrigens Ende der Siebziger Jahre von Karl Zehetner als „Österreichische Studien- und Beratungsgesellschaft“ gegründet, um selbstverwalteten Betrieben mit betriebswirtschaftlichem Rat zur Seite zu stehen. Daraus ist nun stinknormales Business geworden – von Gesellschaftskritik nicht ein einziges Molekül übrig geblieben.

In unserer, „Wake up-Workshop“ genannten, Maßnahme fehlten allerdings oft die Weckrufer. In der ersten Woche war die Trainerin auf Urlaub. Notdürftig versorgte uns der Kundenbetreuer, aber stundenlang saßen wir wartend, ohne zu wissen, was überhaupt passieren soll. Zwei bis zweieinhalb Stunden täglich wurden wir aber ohnehin nur vor die Glotze gesetzt, um online Jobs zu suchen und uns zu bewerben – in einem engen, stickigen Raum mit 25 PCs. „itworks“ will bzw. braucht offenbar gar nicht einmal den Schein von Professionalität erwecken. So großes Chaos, so viel Inkompetenz und Wurstigkeit, so eklatante Widersprüchlichkeit haben auch die erfahrensten Maßnahmen-Hopper noch nicht erlebt. Aber soll man sich beschweren? Ist das größte Zeittotschlagen nicht noch das kleinere Übel gegenüber der Alternative Zwangspädagogisierung durch dilettantische TrainerInnen, die – wir „Kunden“ waren einhellig der Meinung – draußen am freien Markt nicht die geringste Chance hätten.

Unsere Betreuerin setzte auf die bewährte Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode. Sie teilte unsere teilweise horrenden Erfahrungen am AMS voll und ganz, hätschelte und bedauerte uns, weinte sich ihrerseits bei uns aus – auch sie war lange arbeitslos -, um im selben Atemzug fortzufahren: „Wer arbeitslos ist, macht etwas falsch! “ „Vielleicht wenden Sie die falsche Strategie an.“ „Da zu 75 Prozent der persönliche Eindruck bei einem Vorstellungsgespräch darüber entscheidet, ob man einen Job bekommt, muss Ihr Selbstwertgefühl und Ihre soziale Kompetenz brillieren. Andernfalls müssen Sie an sich arbeiten. Das kann mitunter ein jahrelanger Prozess sein.“ „Wenn Sie depressiv geworden sind, weil sie noch immer keinen Job gefunden haben, müssen Sie psychotherapeutische Hilfe aufsuchen, ansonsten finden Sie gar keinen Job mehr.“ – Das heißt, wenn also die Pädagogisierung nicht mehr ausreicht, tritt die Psychiatrisierung auf den Plan. Jede Abweichung von der Norm wird als krank bezeichnet (vgl. Anna Mitgutsch: Gnadenloses Wohlbefinden, in: Der Standard, 6. /7. Okt. 2007, S. 38). Insbesondere wird schließlich Gesellschaftskritik psychiatrisiert. Dieses Resümee zog auch Günter Wallraff über sein Leben in den „Menschenbildern“ (Radio Ö1, 4. Nov. 2007).

In unserem Kurs folgte eine kleine Vorlesung zum Thema „Ziele“ aus dem Buch „Mit NLP zum politischen Erfolg“, einem Ratgeber für Politiker (ÖGB Verlag von Hebenstreit, Mernyi, Niedermair, 4. Aufl. 2006). „Misserfolg ist nur ein verkleideter Erfolg! An den Erfolg glauben! Misserfolg gibt es nicht! Das Ziel muss sinn-voll (sinnlich) sein.“ In jedem Kurs wird einem Abraham Lincoln als Vorbild vor Augen gehalten, dessen Weg zum Präsidentenamt jahrzehntelang mit den größten privaten und beruflichen Misserfolgen und Tragödien gepflastert war. Zwei Blätter mit Fragen mussten wir beantworten, darunter: „Was ist Ihr Ziel? Was wollen Sie erreichen? Wo wollen Sie hin? Was ist Ihr Traum? – Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie sieht es aus? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Was hören Sie? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie fühlt es sich an? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie riecht es, was schmecken Sie? “ – Die fehlende Sinnlichkeit im Leben wird einfach herbeihalluziniert, in ein Job-Gespinst hineinhalluziniert.

Nur nicht aufgeben! Jobsuchen ist ein Fulltimejob! Und die Zeit für Weiterbildungen nützen! So war auch die Berufsberatung beim bfi nichts als PR für die hauseigenen Kurse. Die Beratung beim BIZ (Berufsinformationszentrum des AMS) bestand in der Darreichung der entsprechenden Kataloge mit dem vielversprechenden Titel „Jobs für die Zukunft“. Im Kleingedruckten war allerdings bei vielen Berufen vermerkt, der Markt sei gesättigt oder in Österreich gebe es kaum derartige Stellen.

Von den 23 KursteilnehmerInnen haben gerade einmal drei einen Job bekommen – mehr oder weniger Hilfsarbeiterjobs. – Eines ist „itworks“ allerdings zu Gute zu halten: Arbeitslose müssen sich nicht, wie vom AMS verlangt, in völlig berufsfremden Branchen bewerben. Ansonsten aber werden die Anforderungen des AMS blindlings erfüllt. Hauptsache möglichst viele Kunden sitzen ihre Zeit kostengünstig – sprich mit wenigen TrainerInnen – ab, weil es sich ansonsten für die Kurs-Firma nicht rechnet.

Mit gelegentlicher Ausnahme der Betroffenen fragt niemand, was wer davon hat, wenn Arbeitslose massenhaft zwangsbehandelt und untertags kaserniert werden. Die Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit zu hinterfragen, scheint überall auf Null gesunken zu sein. Beängstigend, wie Menschen sich unterordnen unter ein System, wie sie all ihr Können und ihre Fähigkeiten dazu nutzen, etwas zu tun, das sie aus freien Stücken nie tun würden. Die Diktatur unserer ganz normal demokratischen Marktwirtschaft bewegt sie dazu. Die Richtung des Denkens ist heute strikt vorgegeben. Gedacht soll nur werden, was nützlich im Sinne einer höchst bedrohlich gewordenen Verwertbarkeit ist. Ob der Mitarbeiter der Kreativwirtschaft das gemeint hat, als er den Werbeslogan „Mehr Raum für neues Denken“ anlässlich der Fertigstellung des Gebäudes der „schwarzen“ Bildungsinstitution WIFI (Wirtschaftförderungsinstitut der Wirtschaftskammer) entwarf, durch dessen „Tor“ man „zum Olymp des Erfolgs“ gelangt? – Das „rote“ Pendant bfi (Berufsförderungsinstitut der Gewerkschaft und der AK) setzt in seiner Werbestrategie einmal mehr auf die Sinnlichkeit: „Entdecken Sie die Lust am Lernen! “ Und die VHS verspricht schließlich: „Fit durch Weiterbildung“, insbesondere für 50 plus ein Muss.

Wenn all die Maßnahmen, die zahlreichen (oft völlig illegalen) Sperren des Bezugs, der Zwang zum Lebenslangen Lernen und die anderen Methoden, Arbeit zu simulieren, wo es nichts mehr zu arbeiten gibt, weil die Form unseres Wirtschaftens in der Irre gelandet ist, nicht mehr ausreichen, dann wird Zwangsarbeit verfügt. Der neue Gesetzesentwurf sieht u. a. Folgendes vor: Arbeitslose werden gezwungen, Betreuungseinrichtungen und Personalvermittlern zur Verfügung zu stehen und Jobs mit sämtlichen freien Verträgen anzunehmen; Mindestlohn oder Kollektivvertrag muss keiner mehr bezahlt werden. Diese reichen nicht zum Leben und liegen oft unter dem Niveau der Notstandhilfe. Die Arbeitslosen werden also zur billigen und willigen Reservearmee der Wirtschaft. Weiteres wird die Feststellung der Arbeitswilligkeit auf die Dienstleister ausgelagert, was der Willkür Tür und Tor öffnet und Rechtsmittel gegen die Sperre der Unterstützung werden praktisch unmöglich. In Hinkunft muss auch für einen Teilzeitjob eine tägliche Fahrzeit von vier Stunden in Kauf genommen werden. Und schließlich können alle Langzeitarbeitslosen zu gemeinnütziger Arbeit gezwungen werden.

Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der dermaßen der kollektiven Verdrängung und Verleugnung unterliegt wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, der Umgang mit Arbeitslosen und überhaupt die komplette Durchgeknalltheit, mit der auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagiert wird. Haben wir nicht die Rationalisierung der notwendigen Tätigkeiten seit Menschengedenken angestrebt? Jetzt sind wir endlich so weit, dass alle Menschen auf der Erde mit geringem Aufwand gut versorgt werden könnten. Bildung oder die Sorge um Kinder, Kranke und alte Menschen und vieles andere kann jedoch nicht rationalisiert werden. Genauso große Blödigkeit ist es, diese Bereiche zu kommerzialisieren. Aber daraus Konsequenzen zu ziehen, liegt so weit außerhalb des gesellschaftlich verordneten Denkhorizonts wie die nächste Galaxie.

André Kaminski lässt in seinem grandiosen Roman „Nächstes Jahr in Jerusalem“ (1986) seine junge Heldin Malwa am 12. Dezember 1913 anlässlich der „unbeschreiblich dürftigen Gedanken“ ihres Verehrers, eines untertänigen Offiziers der k. u. k. Monarchie, ins Tagebuch schreiben: „Ich bin bald zweiundzwanzig und weiß nun mit Gewissheit, dass man entweder gegen den Strom denkt oder überhaupt nicht.“

Ein ausführlicher Beitrag von Maria Wölflingseder zu den Maßnahmen des AMS und ihren ideologischen Hintergründen findet sich im schulheft Nr. 127.

Er befindet sich auch auf: http://www.streifzuege.org/2007/die-massnahmen-des-ams

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