Heft 3-4/2001
Juli
2001

Streiken ist nicht obsolet!

1977 rief der staatenlose Künstler Gustav Metzger, der zu diesem Zeitpunkt in England lebte, zu einem Art Strike auf.

Metzgers Idee war einfach und grundlegend. Sie kann mit Kampfformen der ArbeiterInnenklasse wie der Arbeitsverweigerung verglichen werden. Metzger schlug vor, dass alle KünstlerInnen für einen Zeitraum von drei Jahren ihre Kunstproduktion einstellen sollten um den Kunstmarkt und das kapitalistische Kunstsystem zu zerstören. Metzger wollte, dass KünstlerInnnen frei sind, jene Kunst zu produzieren, die sie wirklich machen wollen. Dieser Vorschlag fand jedoch keine Unterstützung im Kunstbetrieb.

1979 schlug der jugoslawische Künstler Goran Djordjevic ebenfalls einen Art Strike vor. Wiederum war diese Idee nicht erfolgreich. Hans Haacke beispielsweise antwortete Djordjevic, dass ein Art Strike nicht effizient sei und dass man das Kunstsystem besser mit kritischer Kunst infiltrieren sollte.

Wir meinen jedoch, dass die Idee des Art Strike hinsichtlich verschiedener Aspekte wichtig war. Erstens führte sie direkte politische Kampfformen in das Feld der Kunst ein, d. h. sie politisierte auf radikale Weise die Sphäre der ästhetischen Produktion. Zweitens berührte der Vorschlag des Art Strike die Möglichkeit und Notwendigkeit von Solidarität. Unter KünstlerInnen fehlte es jedoch an Solidarität. Die Erfolglosigkeit des Art Strike zeigte, dass jede Kunst im Grunde genommen der Macht dient. So war es in den 70er Jahren und so ist es heute. Im übrigen wird Metzgers Art Strike mittlerweile von einigen Theoretikern als Kunstwerk beschrieben: Die erwartete radikale Politisierung fand nicht statt.

Aber: Es ist überhaupt nicht unsere Absicht, hiermit Kunstbetriebs-KünstlerInnen zu noch einem Art Strike aufzufordern. Warum nicht? Weil wir mit diesen KünstlerInnen nicht solidarisch sind. Freilich sind das unterschiedliche KünstlerInnen, mit verschiedenen Intentionen und diversen politischen und ästhetischen Vorlieben und Standpunkten. Nichtsdestotrotz dienen sie alle dem Kunstsystem. Natürlich ist das Kunstsystem heterogen. Es ist ein großes Netzwerk mit vielen diskursiven Divisionen. Trotzdem ist es Teil des hegemonialen politischen Systems. Das Kunstsystem bedient sich der selben Mechanismen und Funktionen wie das politische System: Es kontrolliert, unterdrückt, sortiert und befriedet Leute. Das Kunstsystem ist Kitt. Es ist ideologischer Zement für die antagonistische und asymmetrische globalisierte kapitalistische Welt, deren Normalisierung beständig von Autoritäten und deren Hunden aufrechterhalten wird. Hunde sind verschiedenster Art. KünstlerInnen, KritikerInnnen und KuratorInnen können ebenfalls folgsame Hunde sein.

Uns scheint, dass es offensichtlich ist, dass akzeptierte und traditionelle Formen von Kritik nicht mehr funktionieren. Wenn zum Beispiel im Museumsquartier eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Kunst als Vehikel städtischer Aufwertungsprozesse“ stattfindet, so bedeutet das absolut nichts. (Außer dass die Gentrifizierung hinter der kritischen Fassade voranschreitet und ein touristisches Kulturzentrum für etablierte populistische und elitäre Attraktionen bald feierlich eröffnet wird.) Alle Formen von Ironie, Sarkasmus, Dekonstruktion und Subversion sind nicht mehr genug. Mittlerweile sind sie Konvention, eine weitere Norm. Sie alle sind Teil des zynischen Spiels von Leuten wie Szeemann, Gagosian, Saatchi, Gerald Matt, etc.

Um heute kritisch zu sein, muß einE KünstlerIn gegen das Kunstsystem selbst agieren. Mit seinem oder ihrem Körper, mit seinem oder ihrem Geist, mit seinem oder ihrem Begehren, mit seinem oder ihrem Haß und seiner oder ihrer Liebe, mit seinem oder ihrem Magen. Wir alle spüren, dass das System lügt, vergewaltigt, tötet. Um die Ordnung der Dinge zu verändern muß eineR sie direkt konfrontieren. So wie sich DemonstrantInnen der Polizei in Seattle und anderen Städten entgegengestellt und widersetzt haben. Wir müssen es tun! Es gibt keine andere Möglichkeit!

Jedoch: Wir schreiben das nicht für GalleristInnen, die KünstlerInnnen ausbeuten; nicht für Museen und Kunsthallen, die diskriminatorische Strukturen und ein hegemoniales Archiv erzeugen; auch nicht für SponsorInnen, die Kunst fördern, um das eigene negative Image zu verbessern; und schlußendlich nicht für KünstlerInnen, die im Kunstbetrieb hip dahintreiben und an Hypes mitmischen. Nicht für sie schreiben wir, dass eine Attacke auf das Kunstsystem notwendig ist. Wir glauben nicht an Kommunikation, Informationsaustausch und Podiumsdiskussionen. Wir schreiben das in erster Linie für uns selbst. Denn wir sind schwach und voller Ängste. Ungehorsam und Widerstand benötigen Konzentration, Fröhlichkeit und Arbeit.

Und: Was die Avantgarde betrifft, so gilt es den Begriff mit Vorsicht zu behandeln. Klar existierte nie eine monolithische historische Avantgarde. Doch was war?- Diskrete Versuche patriarchaler Gruppierungen und verzweifelter Einzelgänger, die existierenden repressiven Institutionen zu zerstören. Im übrigen entstanden an Stelle der alten Institutionen neue. Ein Beispiel: Die Dadaisten verkündeten gegen alle „-ismen“ zu sein, sowie gegen die Kunst selbst. Doch die dadaistischen Collagen haben die Kunst nicht getötet, und die dadaistsichen Skulpturen haben die Plastik nicht ungültig gemacht. Das Cabaret Voltaire hat nicht zur Zerstörung von Museen geführt. Dada schuf faktisch neue künstlerische Modelle, die alsbald dominant und letztendlich institutionalisiert wurden. Wenn der Erste Weltkrieg die Kunst beinahe umgebracht hat, so wurde sie von den Dadaisten reformiert.

Kurz gesagt, nicht Kunst ist notwendig. Nötig ist eine Vielzahl kleiner Streiks, großer Ungehorsams, wilder Widerstände, demystifizierender Sabotagen, permanenter Skandale und direkter Aktionen, die in einer Kulturrevolution münden. Streiken ist nicht obsolet. Doch das ist kein weiterer Hype.

ONE SOLUTION — REVOLUTION!
ONE CONVALESCENCE — DISOBEDIENCE!
ONE EXISTENCE — RESISTANCE!
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