Context, Juridikum
Oktober
1995

Fragen zu linker Politik und Öffentlichkeit

zum geplanten Symposium „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende“

Derzeit befindet sich — von einer Personengruppe im Februar 1995 angeregt — ein Symposium „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende“ in Vorbereitung. Dieses Symposium — in einem früheren Vorbereitungsstadium auch als „linke Dialog-Konferenz“ bezeichnet — soll vom 8. bis 10. Dezember 1995 stattfinden. Wegen thematischer Einschlägigkeit veröffentlichen wir im „Context“ das vorläufige „Thesenpapier“ der Arbeitsgruppe „Demokratie und Medien“:

1.

Braucht der Kapitalismus heute politische Öffentlichkeit zur Integration, Legitimation, symbolischen Repräsentation? Gibt es Grenzen der Vermarktung von Öffentlichkeit, des Auseinanderreißens von Bedeutungszusammenhängen, der allgemeinen Zerstreuung, aber auch der Realisierbarkeit von Profiten (etwa bei den unkontrollierbaren Nutzungen elektronischer — aber auch schon gedruckter — Medien: ungewisse Erlöse aus dem Verkauf an Medienkonsumenten, ungewisser Nutzen von Werbeaufwendungen und damit ungewisse Erlöse aus dem Werbegeschäft ...)? Eine wirkungsvolle Alternative zu der bei vom Markt absorbierter Öffentlichkeit vorenthaltenen Befriedigung der Bedürfnisse etwa nach Sinnstiftung, sozialer Orientierung et cet. wird derzeit hergestellt durch Nationalismus, Rassismus, New-Age, Esoterik, Lifestyle-Identitäten et cet.. Sind — und wenn ja: wie? — solche Grenzen/Brüche auch durch eine linke, emanzipatorische, aufklärerische Medienpolitik nutzbar zu machen? Ist derzeit eine „fortschrittliche“ linke Öffentlichkeitsarbeit vorstellbar oder ist uns derzeit nur das Festhalten an scheinbar antiquierten Formen möglich: als die Letzten, die die historisch transitorische „bürgerliche Öffentlichkeit“ ernst nehmen, herstellen und hochhalten — gegen die Barbarei (siehe Frage 3)?

2.

Welche Aufgabe und welchen Stellenwert hat „Öffentlichkeitsarbeit“ für linke Politik? Damit unauflöslich verbundene Frage: Welche Aufgabe und welchen Stellenwert hat Theoriebildung für linke Politik? War es ein Kardinalfehler aller bisher durchsetzungsfähigen linken Formationen, sich in ihrer „Öffentlichkeitsarbeit“ einigermaßen widerstandslos den Erfolgskriterien der vorgefundenen „bürgerlichen Öffentlichkeit“, also des Marktes, unterworfen zu haben: von althergebrachter „Propaganda“ bis „Es ist uns eben nicht gelungen, unsere Anliegen gut zu verkaufen ...“? Ist andererseits linke „Öffentlichkeitsarbeit“, weil und wenn emanzipatorisch-aufklärerisch ernst gemeint, notwendig mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit behaftet? Ist der Weg das Ziel? Was ist aus bisheriger linker Erfahrung für die Entwicklung einer künftigen linken „Gegenöffentlichkeit“ zu lernen?

3.

Ist eine Fortführung und Radikalisierung des „Projektes Aufklärung“ erstens theoretisch aktuell/aktualisierbar, zweitens politisch zeitgemäß? Wie weit können/sollen/dürfen/müssen wir uns anbeträchtlich der Menschenopfer der Anti-Aufklärung auf das Lesen, Schreiben, Reden beschränken/konzentrieren? Welche Rede und Schreibe in welchen Medien brauchen politisch wünschenswerte Taten? In den kommenden fünf Jahren? In den kommenden zwanzig Jahren? In Europa angesichts der aufkommenden neofaschistischen Bewegungen? Weltweit angesichts der möglicherweise nie wieder gutzumachenden Verwüstungen — nicht nur „natürlicher“ — menschlicher Lebensgrundlagen? Ist politische Notwehr nur unter intellektuellen Opfern möglich? Welche intellektuellen Opfer sind zur politischen Notwehr zulässig?

Die hier vorgeschlagenen Fragestellungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder theoretische Konsistenz, es soll damit vielmehr ein eher loser „roter Faden“ gelegt werden, dessen strukturierende Funktionen etwa folgenden Absichten entsprechen:

Linke Mediendiskussionen sind gegenwärtig von einer gewissen Begriffslosigkeit geprägt, der nicht viel mehr gelingt, als über die sogenannten „herrschenden Medien“ als Teil des „Bösen in der Welt“ zu lamentieren: also hauptsächlich darüber, daß diese Medien die sogenannte „herrschende“ und nicht etwa „linke“ Meinung fabrizieren oder etwa darüber, daß sie — als kapitalistische Unternehmen — zur Konzentration in den Händen weniger Medieninhaber neigen. Demgemäß sind auch die Topoi „linker“ Medienkritik seit einigen Jahren ziemlich stereotyp und ihr kritischer Gehalt eher mager: Man versteift sich darauf, etwa über die „Kronen-Zeitung“ mit ihrem „Staberl“ zu schimpfen, über die mangelnde „Objektivität“ des „ORF“ zu klagen oder den Moloch „Mediaprint“ zu beschwören. Beklagt werden also unliebsame Züge dieser Medien, die an ihnen normal und gerade insofern beklagenswert sind, die aber in ihrer Normalität kaum begriffen werden. Aus diesem Grund fällt es gerade dem „linken“ Mediendiskurs schwer, dieselbe beklagenswerte Normalität auch an solchen Medien zu erkennen und zu kritisieren, an denen sie sich weniger skandalös bemerkbar macht, und sich von dieser Normalität abzusetzen oder sich ihr entgegenzusetzen. Demgemäß präsentiert sich auch die linke Medienproduktion und -nutzung weitenteils als ein eher intuitiver Prozeß, in dem einerseits versucht wird, selbst marktfähige Öffentlichkeitsarbeit herzustellen, andererseits — wo dies mißlingt — resignative Haltungen eingenommen werden mit der Folge der Vernachlässigung nicht nur der Bemühungen um die Herstellung eigener „linker“ Öffentlichkeiten sondern auch der Vernachlässigung der Nutzung vorhandener „linker“ Kommunikationsfazilitäten. Diese letzteren werden traditionellerweise nicht am Maßstab einer Idee von Öffentlichkeit oder einer Idee wünschenswerter Darstellungs- und Diskussionsmöglichkeiten beurteilt, sondern etwa anhand eher oberflächlicher soziologischer Kriterien (Medien als Organe von Gruppeninteressen) oder topologischer Kriterien („links“ oder „alternativ“ sind Medien mit Themenschwerpunkten „Frieden“, „Umwelt“, „Frauen“, „Klassenkampf“, „Antifa“ et cet.), wobei neuerdings als zusätzliches Kriterium „Marktfähigkeit“ bzw. „Reichweite“ wachsende Anerkennung zu finden scheint. Eine Aufgabe eines „linken Dialogsymposiums“ sollte sein, der so beschaffenen Mediennutzung und Medienproduktion im „linken“ oder „alternativen“ Milieu theoretische Anhaltspunkte zu geben und zunächst die gegenwärtige Medienrealität, die gegenwärtige Verfassung von „Öffentlichkeit“ besser begreiflich zu machen. Es sollten sodann Handlungsmöglichkeiten und -erfordernisse linker, oppositioneller „Öffentlichkeitsarbeit“ deutlicher herausgeschält und es sollte schließlich jenseits der hergebrachten — eventuell allzu kurzschlüssigen — Auffassungen eine Neubeurteilung, Neupositionierung, Neuformulierung „linker“ oder „alternativer“ medialer Kommunikationsfazilitäten versucht werden.

Die Koordination der Arbeitsgruppe „Demokratie und Medien“ besorgt Christian Neugebauer, Liechtensteinstraße 123/20, 1090 Wien, Telefon & Telefax (ab 19. Juni) 319 04 57. Kontaktadresse für das „Dialog-Komitee“ (sohin für die Vorbereitung der gesamten Veranstaltung): Josef Iraschko, Nestroyplatz 1/20A, 1020 Wien, Telefon 216 28 07.

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